péntek, november 22, 2024

In der letzten Mai-Woche dieses Jahres führte uns, 15 Studierende der Philipps-Universität Marburg, unser Forschungsinteresse in die südliche Slowakei. Unter der Leitung von Professor Seifert vom Institut für Europäische Ethnologie/Kulturwissenschaft der Philipps-Universität Marburg erkundeten wir gegenwärtige und vergangene ethnische und interkonfessionelle Dynamiken in der Grenzstadt Komorn (ung. Komárom; slow. Komárno). In verschiedenen Kleingruppen besichtigten wir unter anderem Orte religiöser Zusammenkunft und besuchten diverse Gottesdienste. Darüber hinaus eruierten wir, wie diese Gemeinden Stadtleben und Stadtbild prägen und erfuhren vieles über religiöse Alltagspraktiken Einzelner. Ein zweiter Forschungsschwerpunkt lag auf den interethnischen Beziehungen. Wir haben mit Vertretern und Vertreterinnen der slowakischen und ungarischen Bevölkerung gesprochen und hatten so die Gelegenheit, verschiedene Sichtweisen auf das Zusammenleben in der Stadt Komorn kennen zu lernen.

 

 

 

 

 

Abb. 1. Eine Stadt – zwei Sprachen (Foto: Dorothée Fellinger, 2015)
Nach einer langen Reise erreichten wir Komorn. Schon der erste Eindruck zeigte uns, dass es sich um eine sehr facettenreiche Stadt handelt. Farbenfrohe Häuser, einladende Restaurants und Straßencafés prägten neben historischen Gebäuden, modernen Bauten, alten Reihenhäusern und geschmückten Denkmalen das Stadtbild und vermittelten uns den Eindruck einer Stadt mit vielen Gesichtern.
Schon bald wurde uns bewusst, dass die ungarische Minderheit in Komárno die Mehrheit der Bevölkerung ausmacht. Das aus Deutschland mitgebrachte slowakische Wörterbuch fand bei unseren ersten Begegnungen somit kaum praktische Anwendung. Das slowakische und ungarische Neben- und Miteinander eröffnete ein interessantes und vielfältiges Forschungsfeld. Bei unseren Kontakten mit den Komornern kristallisierte sich bald ein äußerst positiver Bezug der dort Lebenden zu ihrer Stadt heraus. In verschiedenen Kontexten wurden wir auf Probleme und Ängste aufmerksam gemacht, die sich durch die interethnischen Beziehungen zwischen Ungarn und Slowaken ergeben. Aber auch freundschaftliche Beziehungen und ein herzlicher Austausch zwischen beiden ethnischen Gruppen wurden in unseren Gesprächen deutlich betont.
Im Laufe der Woche lernten wir die Stadt näher und besser kennen. Unsere erste Tour durch Komárno führte uns vorbei am wirtschaftlichen Mittelpunkt des Ortes, dem Hafen. Beim Blick von der Elisabethbrücke wurde uns die Tatsache, dass es sich um eine Landesgrenze und Grenzstadt handelt, einmal mehr deutlich. Es war spannend zu erfahren, was die Stadt im Laufe ihrer Geschichte erlebt hat. Der erkenntnisreiche Rundgang durch die pittoresken Gassen des gepflegten Stadtkerns bot uns einen Überblick über die einzelnen Orte, die wir in den folgenden Tagen genauer betrachten wollten.
Zu Beginn der Exkursion hießen uns auch die Studierenden der Germanistik und Anglistik an der Selye János Universität herzlich willkommen. Sie berichteten uns anschaulich von der Universität und aus ihrem Unileben. Dabei fanden sich viele Gemeinsamkeit zu unserem Studierendenalltag, ebenso wie einige Unterschiede, beispielsweise den Schönheitswettbewerb und die Bälle. Trotz der Prüfungsphase, in der wir uns mit den Studierenden trafen, haben sich einige von ihnen noch viel Zeit genommen, uns eine weitere Perspektive auf die Stadt zu bieten und uns unter anderem die beliebtesten Kneipen und Cafés Komárnos vorzustellen.
Wir besuchten zwei Pfingstgottesdienste, die der römisch-katholischen und der reformierten Gemeinde, die hoch frequentiert und festlich waren. Trotz der in Ungarisch gehaltenen Predigten konnte eine Annäherung an die Relevanz des Feiertags nachgefühlt werden. Während sich der katholische Gottesdienst vom Ablauf her von den aus Deutschland gewohnten Messen kaum unterschied und uns in gewisser Weise sogar vertraut war, fielen uns im reformierten Gottesdienst einige Besonderheiten auf. Die Bedeutsamkeit und gesellschaftliche Verankerung von Religion und Glaube war neben der für uns überraschend hohen Zahl von Besuchern des Gottesdienstes auch Ausdruck in der dominanten Präsenz ungarischer Nationalsymbolik erkennbar. Während uns insbesondere auch die Raumordnung und -gestaltung der Kirche, wie beispielsweise die Platzierung des Altars und der Kirchenbänke, explizit auffiel, da sie nicht der uns vertrauten Weise entspricht, konnten wir Ähnlichkeiten und vertraute Rituale bei der Durchführung des Abendmahls und dem Empfang der Hostien entdecken, sodass wir schluss­endlich trotz geringfügiger Unterschiede eine gemeinschaftliche Atmosphäre empfanden.
Die Festung von Komárno war einer der Höhepunkte unserer Exkursion. Was für uns eine die Stadt dominierende Anlage darstellte, die zwar etwas unauffällig und außerhalb gelegen, aber dennoch präsent zu sein schien, wurde ihr von einem Großteil der von uns befragten Komorner keine größere Bedeutung beigemessen. Die Festung war eindrucksvoll. Zum einen waren die Ausmaße in Größe und Weite des Komplexes überraschend. Die Begehung ließ uns zusätzlich verschiedene historische Epochen durchleben. Gleichzeitig konnte man beobachten, wie sich die Natur im Laufe der Zeit ihren Raum zurückeroberte. All diese Aspekte führten zu einer einzigartigen, überwältigenden und außergewöhnlichen Atmosphäre.

 

Abb. 2. Einer der Höhepunkte der Exkursion: Die Besichtigung der Festung (Foto: Hannah Katinka Seidler, 2015)

Der Besuch des katholischen, reformierten und des jüdischen Friedhofs wichen von unserer Vorstellung von Friedhöfen ab. Die Vielfalt bei Grabschmuck und Gestaltung der Gräber beeindruckte uns und gewährte uns einen guten Einblick in die ungarische und slowakische Bestattungskultur. Das Spektrum der Gräber reichte von handbeschrifteten Holzstelen bis hin zu Marmormausoleen. Der schlichter gehaltene jüdische Friedhof kontrastierte stark mit den individuell gestalteten und stark geschmückten Gräbern der katholischen und reformatorischen Stätten.
Ein weiterer einprägsamer Ort stellte der Europaplatz dar. Der erste Eindruck dieses aufwendig gestalteten Platzes war einladend. Bei näherer Beobachtung fiel uns der Leerstand und die spärliche Nutzung des Raumes auf und auch die Erzählungen zu Geschichte und Einstellungen über und zum Europaplatz waren auffällig unterschiedlich. Für uns war der Platz hinter dem Rathaus dennoch ein guter Orientierungs- und Treffpunkt und in den ersten Tagen die Anlaufstelle, wenn es um die Abendgestaltung der Exkursionsgruppe ging. Generell gaben uns die vielen Restaurants und Pubs die Möglichkeit, sowohl slowakische als auch ungarische Speisen zu kosten. Dank der viersprachigen Speisekarten und die Sprachkompetenzen der Kellner hatten wir keine Probleme, die kulinarische Bandbreite erleben zu können. Eine einladende Auswahl an Bier, Wein und Schnaps war ebenfalls gegeben.
Zum Abschuss unserer Forschungsreise besuchten wir Prof. József Liszka und Frau Dr. Ilona Juhász im Forum-Institut für Minderheitenforschung/Forschungszentrum für Europäische Ethnologie und erfuhren mehr über die jeweiligen Arbeitsschwerpunkte der Forschenden. Die Begegnung war für unsere Forschung informativ und motivierend. Da ihre Forschung zu interkulturellen Beziehungen, Wandel der Volkskultur und Religion­s­volkskunde viele Überscheidungspunkte mit unserer Exkursion hatte, war das Treffen sehr bereichernd.
Die Exkursion nach Komorn war für uns alle ein prägendes Erlebnis. Durch die Feldforschung in der Stadt erlangten wir vielfältige alltagspraktische Eindrücke und auch methodische Kenntnisse, die uns in unserem Studium weiter bringen. Besonders durch die Kontakte, die wir durch József Liszka erhalten haben, war der Einstieg ins Feld unproblematisch. Die sieben Tage in der Slowakei waren erwartungsgemäß viel zu kurz, die Erfahrungen, die wir in Komorn gemacht haben, waren nur ein erster Zugang. Es haben sich viele interessante Forschungsthemen ergeben, die den einen oder die andere bestimmt noch einmal nach Komorn zurückführen werden.

Gräber, Hanna Lena – Obermüller, Alexandra – Osse, Johanna – Schwark, Josephine – Seidler, Hannah Katinka – Trott, Adam Ruebsaa