péntek, november 22, 2024

Während meiner Forschungen stütze ich mich häufig auf diverse Presseartikel – sowohl auf konventionelle Tage- und Wochenblätter als auch auf Onlinemedien. Dadurch konnte ich in vielen Bezügen zahlreiche, bis dahin unbekannte Angaben und wertvolle, neue Aspekte für meine Forschungen entdecken. Dank diesen Quellen erhalten wir häufig ein viel plastischeres Gesamtbild hinsichtlich mancher Fragestellungen – häufig stößt man auf völlig unbekannte Belege, die gegebenenfalls weitere Forschungsfragen aufwerfen, neue Aspekte anbieten oder ganz andere Sichtweisen bei der Betrachtung eines Problems nach sich ziehen.
Im vorliegenden Aufsatz werde ich zunächst einige in der Fachliteratur bisher weniger bekannte Aspekte der jüdischen Folklore präsentieren. Dabei möchte ich einige Artikel aus dem Jahr 1918 des in Ungwar (ung. Ungvár; slow. Užhorod, heute in der Ukraine) verlegten Wochenblattes Ung sowie des in Budapest erschienenen Blattes Egyenlőség [Gleichheit], des Presseorgans des ungarischen Judentums einbeziehen. Damit verbunden werde ich zum Schluss anhand einiger Beispiele die einzelnen Varianten und parallele Züge der behandelten Bräuche präsentieren.
Die oben erwähnten Artikel beziehen sich auf die Eheschließung eines jungen Paares im jüdischen Friedhof von Ungwar, sie liefern jedoch außer der Schilderung des Geschehens gleich mehrere beachtenswerte Angaben. Bereits aus dem ersten Artikel geht klar hervor, warum ausgerechnet der Friedhof von der örtlichen jüdischen Gemeinde zum Ort der Trauung, dieser wichtigen Lebensstation ausgewählt wurde. Im Artikel lesen wird das folgende Argument: Nach dem jüdischen Volksglauben vermag eine Hochzeit im Friedhof die massenweise Todesopfer fordernden Seuchen anzuhalten.
Da zu jener Zeit auch in Ungwar die europaweit wütende spanische Grippe ihre Opfer forderte, wollte die jüdische Gemeinde auch mit diesem ungewöhnlichen Akt der Epidemie ein Ende setzen. Die erste Berichterstattung über diesen Fall ist auf der zweiten Seite des Blattes, mit dem Titel „Hochzeit im Friedhof” [Esküvő a temetőben] erschienen:

Samu Weisz und Regina Grünberger haben am 18. Februar des lauf. Monats vor dem Matrikelführer das Ehegelübde ausgesprochen. Die kirchliche Feier findet heute nm. um 2 Uhr im isr. Friedhof statt. Im Herzen einiger Juden lebt nämlich der Aberglaube, dass die Seuche aufhört, sobald man im Friedhof eine Vermählung stattfindet. Für das junge Paar hat die isr. Glaubensgemeinde 6000 K Mitgift gesammelt.1
In der folgenden Ausgabe hat man über das Geschehen sogar direkt auf dem Titelblatt berichtet (der Text wird auf der folgenden Seite fortgesetzt), und zwar in einem recht umfangreichen Artikel namens „Hochzeit – gegen die spanische Grippe … Eine Trauung im jüdischen Friedhof”2 (der Autor wurde mit dem Kürzel p.a. signiert). Aus dem Bericht geht klar hervor, dass die Zeremonie als eine wahrhaftige Sensation wahrgenommen wurde und in der Öffentlichkeit ein reges Interesse erweckte.
Der Verfasser des Artikels hat seine Reportage mit einer vom ungarischen König Koloman (1095–1116) stammenden Kommentar eingeleitet, der sich auf die Hexerei bezieht: „Über Hexen, die es ja nicht gibt, soll desweiteren kein Wort fallen.” Aus dem recht ironisch gefärbten Artikel erfahren wir, dass es sich nicht um die erste im Friedhof veranstaltete Hochzeit in Ungwar handelt. 1878, während der großen Choleraepidemie hatte nämlich ebenfalls eine solche Trauung stattgefunden, und das damals vermählte Ehepaar ist 1918 noch am Leben gewesen. Sie hatten zu jener Zeit eine deutlich kleinere Summe, 200 Pengős erhalten – im Gegensatz zum jetzt vermählten Ehepaar, für die insgesamt 6000 Kronen gesammelt wurden. Der Autor des Berichts fügt noch hinzu, dass der 1878 verheiratete, im Jahre 1918 bereits betagte Ehemann den „Gemeindevorstand” von Ungwar persönlich – jedoch erfolglos – um die Auszahlung der Differenz zwischen den zwei Mitgiften gebeten hat.
Im Artikel wird erwähnt, dass der Bräutigam ein Handelsassistent sei – über den Beruf bzw. den sozialen Status der Braut wird jedoch kein Wort gesagt. An der Hochzeitszeremonie hat sich auch der Knabenchor des Kantors beteiligt, nach der Trauung wurde Zwetschgenwasser ausgeschenkt, jeder Person aus dem gleichen Glas. Der Autor fügt bezüglich der Summe von 6000 Kronen eine ironische Frage hinzu: „Wäre es denn für das arme Judentum nicht besser gewesen, den Betrag auf Seife und Lysoform3 gespendet zu haben?” Er hatte auch andere rügenswerte – in diesem Fall eher politisch gefärbte – Punkte gefunden: „Außerdem hat mich noch etwas gestört: der Vizerabbiner hat sehr schön gebetet, damit das Judentum der spanischen Epidemie ledig wird. Nun frage ich höflichst, wieso sollte ich es kriegen oder jemand anderer, wenn wir jetzt doch jeden Ungaren so sehr brauchen…”
Auf den sarkastischen Kommentar hat in der folgenden Ausgabe der Vorstand, Jenő Deutsch, in seinem Artikel Hochzeit gegen die spanische Grippe – Trauung im jüdischen Friedhof reagiert4. Dank dieser Schrift erhalten wir mehrere neue Informationen hinsichtlich dieses recht ungewöhnlichen Rituals. Deutsch thematisierte den sarkastischen Stil des Verfassers genauso wie dessen irrtümliche Schlussfolgerungen und lieferte gründliche Erklärungen auf dessen Fragen. Da er auch die Stellungnahme des Miskolcer Oberrabbiners, Sámuel Austerlitz in der jüdischen Zeitschrift Egyenlőség [Gleichheit] länger zitiert, werden unsere Kenntnisse hinsichtlich der Zeremonie noch detaillierter. Der Rabbi erwähnt darin, dass die Trauung im Friedhof in der Epedemiezeit ein uralter jüdischer Brauch sei, und betont, dass der Akt „mit c[h]aritativen Zwecken verbunden wird, es wird Wohltätigkeit und Mitleid ausgeübt, um Gottes Erbarmen für uns zu gewinnen.” So erhalten wir auch die Antwort, weshalb die Gemeinde die 6000 Kronen für das junge Ehepaar gesammelt hat.
Der von Jenő Deutsch zitierte Kommentar des Samuel Austerlitz ist in der Zeitschrift Egyenlőség, in einem Presseorgan der jüdischen Gemeinde, als Teil seines Artikels Esküvő a temetőben5 [Hochzeit im Friedhof] erschienen. Es handelt sich um einen äußerst wichtigen Artikel für unsere Zusammenhänge, mit besonderer Hinsicht auf den letzten Satz: „Nach dieser Aufklärung hat der Vorstand der Spendensammlung unverzüglich zugestimmt, nicht zuletzt auch deswegen, weil seiner Kenntnisse nach eine solche Hochzeit bereits vielerorts stattgefunden hatte, angeblich auch in Budapest.”6 Die Hochzeit im Friedhof von Ungwar ist also keineswegs die einzige gewesen, die in jener Zeit veranstaltet wurde, um die Epidemie zu stoppen. Es ist von mindestens gleich hoher Bedeutung, dass solche Feierlichkeiten nicht bloß am Lande, sondern auch in der Hauptstadt Budapest stattgefunden haben können. Aus dem Beitrag von Rabbi Austerlitz wird es für uns eindeutig, dass dieser Brauch im Kreise der Juden ein fest verankertes und gut bekanntes Ritual zum Eindämmen der Krankheit gewesen ist.
Auch Sándor Scheiber liefert in seinem Werk Folklór és tárgytörténet [Folklore und Sachgeschichte] gleich mehrere Daten und Angaben hinsichtlich solcher Zeremonien, es kann sich also keineswegs um eine neu entstandene bzw. seltene Tradition handeln. Im Kapitel Jüdische Folklore in den Schriften von Péter Ujváry werden von Scheiber mehrere Quellen zitiert, zunächst die folgenden Zeilen aus Újvárys Drama Leviathan: „um das Anhalten des Pogroms werden auf dem Grabe des Zaddiks zwei Witwen vermählt.” (Scheiber 1996, 1126 ff.) Es werden von Scheiber jedoch auch andere, teils belletristische Beispiele miteinbezogen. So etwa aus dem Werk des polnischen Rabbis und Schriftstellers Julian Stryjkowski: „Die Epidemie wütete. Die Juden fielen wie die Fliegen. Die Seuche linderte sich nur kurz, als im Friedhof eine Hochzeit stattgefunden hat.” (Scheiber, 1996, 1126 ff.) Oder diese Sätze aus dem Roman Satan in Goraj von Isaak Bashewis Singer: „Danach wurde der Bräutigam zum Hochzeitszelt begleitet, welches zwischen das Gebetshaus und den Friedhof aufgestellt wurde. Unter den kleinen Grabhügeln im Innenhof des Gebetshauses ruhten kleine Schul­kinder, die infolge der Invasion der Hajdamaken und Tataren 1648 lieber den Märtyrertod gewählt haben, um nicht ihren Glauben verleugnen zu müssen und als Sklaven verkauft zu werden.” (Scheiber 1986, 1127). Es wird auch ein weiteres Werk von Singer zitiert, in dem ebenfalls eine Hochzeitsszene stattfindet (Scheiber, 1986, 1127). Die nächste Angabe stammt von 1865, als im Safed die Trauung eines armen Ehepaares zwischen den Gräbern von Josef Karo und Kicchak Luria vollzogen wurde, in der Hoffnung, dass dadurch die Verbreitung der Cholera gebremst werden kann (zit. Scheiber, 1986, 1127). Die Juden in Pápa haben ebenfalls eine solche Vermählung veranstaltet: „in der Zeit der großen Choleraepidemie in Pápa wurde die Trauung eines verwitweten jungen Mannes und einer ebenfalls verwitweten jungen Frau im Friedhof gehalten, bei Anwesenheit der ganzen Gemeinde. Die Zeremonie wurde unter einer Chuppa, die auf den Grabhügel platziert wurde, vollzogen (zit. Scheiber 1986, 1146).
Ármin Schnitzer, der Oberrabbiner von Komorn widmet in seinem autobiographisch inspirierten Werk ein ganzes Kapitel seinen Lebensjahren in Kirchdorf. Darin erwähnt er, dass in Kirchdorf während der Cholera 1848 eine Trauung dieser Art geplant war. Die Zeremonie hat jedoch wegen den großen Feierlichkeiten letztendlich nicht stattgefunden. (Schnitzer 1904, 34–35)
Mendele Moicher Sforim (1835–1917), jiddischer Schriftsteller, wurde in Kopyl bei Minsk geboren. Er lebte in Polen und in der Ukraine. In seinem Roman Fischke der Krumme (1868) erzählt er eine Hochzeit im Friedhof mit Rückgriff auf seine Jugenderlebnisse mit folgenden Worten:
Fischke war schon in den Jahren und hatte nicht übel Lust zu heiraten und Glupsk mit einigen Kindern zu beglücken. Zu seinem Unglück hatte man ihn aber gänzlich vergessen, und er wurde, wie ein fauler Artikel im Buchhandel, zu einem Ladenhüter. Selbst bei der Mobilmachung aller Bräutigame in der Cholerazeit hatte man ihn vergessen: in der Zeit, als die Glupsker Gemeinde alle elenden Krüppel, Bettler und Taugenichtse aufgriff und sie auf dem Friedhofe zwischen den Grabsteinen mit ebenso elenden Mädchen verheiratete, um die Seuche abzuwenden. Statt seiner verheiratete die Gemeinde zunächst den berühmten Krüppel Jontel, der sich, auf dem Gesäss rutschend, mit Hilfe zweier kleiner Holzschemel in den Händen fortbewegte, mit einer stadtbekannten Bettlerin, die Zähne so gross, wie Schaufeln und eine Hasenscharte hatte. Die Cholera bekam vor diesem Ehepaar grosse Angst: sie brachte vor Schreck noch eine Anzahl Glupsker Einwohner um und machte sich aus dem Staube. Das nächste Mal wählte man Nochumtsche, den Gemeindenarren. Dieser wurde auf dem Friedhofe in Gegenwart vieler vornehmer Leute mit einem Mädel getraut, wie, mit Verlaub zu sagen, schon von Kind auf eine Krone auf Kopfe trug und vor der es in der Stadt hiess, dass sie eine Zwitter sei. Die Gemeinde hatte sich auf dieser Hochzeit sehr gut unterhalten und auf dem Friedhofe zwischen den Grabsteinen ein ganzes Meer Schnaps ausgetrunken. „Das ist gut!“ sagte sich die Leute: „Sollen sich die jüdische Kinder der Cholera zum Trotz vermehren, sollen die armen Krüppel ihr Vergnügen haben …“ (…) Kurz und gut, die Gemeinde hatte Fischke gänzlich vergessen. Nach Glupsk kam wieder einmal die Cholera, Fischke half sie aber wieder nicht. Er blieb nach wie vor Junggeselle. Selbst die nasenlose Muhme, die die Angewohnheit hatte, in Begleitung eines Fiedlers tanzend und singend durch die Gassen zu ziehen und mit einem Teller milde Gaben einzusammeln, damit irgendein Paar Leichen zum Hochzeitstanz gehen konnte, damit die Krüppel, Bettler und armen Mädchen, Gott behüte, nich sitzen blieben, – selbst diese gute, mitleidige Muhme hatte.7

Auf die folgende Geschichte stieß ich in einer Sagensammlung über Krakau. Die Erzählung mit dem Titel Die Hochzeit auf dem jüdischen Friedhof berichtet über eine Vermählung während der großen Pestwelle, die „vor 600 Jahren” in Krakau wütete, mit dem Zweck der Epidemie ein Ende zu setzten (Basiura 2004, 99–101). In diesem Falle musste das künftige Ehepaar der Tradition nach nicht nur arm, sondern auch körperlich behindert sein, die Wahl der Gemeinde fiel daher auf einen einäugigen Bräutigam und eine hinkende Braut. Nach der Eheschließung hat man im Friedhof eine mit Tanz und Musik verbundene Hochzeitsfeier organisiert, die auch nach dem Anbruch des Sabbats8 fortgesetzt wurde. Der Legende nach wurde die feiernde Gesellschaft als Strafe für die Verletzung der Gesetze von der Erde verschluckt.9
Im Internet habe ich eine Videoaufnahme gefunden, die in einem jüdischen Friedhof gedreht wurde: darin wird das wichtigste Zubehör der Feierlichkeiten, ein auf vier Säulen ruhender Baldachin festgehalten, in diesem Fall von einer Menschenschar umgeben. Die mit dem Titel „Pogrzeb czy ślub? Wedding day or funeral?” [Begräbnis oder Trauung?] versehene Aufnahme zeigt u. a. eine mit Hand geschriebene englische Inschrift, die mit der Datierung „Feb. 29. 1920” sowie der Benennung des Ortes ergänzt wird („Olyka Poland”)10. Der englische Text ist höchstwahrscheinlich auf der Rückseite der im Film sichtbaren Fotografie eingetragen. Das in der Zeit von Hungersnot und Seuchen vermählte junge Paar wurde von Verwandten und Glaubensgenossen (junge und alte, sowohl arme als auch reiche Personen) in den Friedhof begleitet, um dort mit einem gemeinsamen Gebet Kräfte für die Selbsterhaltung zu sammeln.11 Auf die Frage, ob die Eheschließung im Friedhof stattgefunden hat oder bereits woanders, noch vor dem Einzug in den Friedhof, kann man keine eindeutige Antwort geben. Der Text ist nicht eindeutig, anhand der Inschrift könnte man auch schlussfolgern, dass die Vermählung diesmal außerhalb des Friedhofs realisiert wurde. Man kann jedoch sicher feststellen, dass wir in diesem Brauch eine Variante der oben erwähnten Tradition aus Ungwar sehen können. Wir haben es also wieder mit einem zeremoniellen Muster zu tun, welches zur Abwehr einer Seuche, die die jüdische Glaubensgemeinde gefährdete, vorgesehen war.
Andere schriftliche Belege, die eine jüdische Eheschließung im Friedhof dokumentieren würden, habe ich bisher nicht gefunden. Einen wertvollen und aufschlussreichen Beitrag findet man jedoch in den aus dem 18. Jahrhundert stammenden Memoiren einer jüdischen Kaufmannsfrau (Hameln 2000)12. Glikl Hameln, die den Großteil ihres Lebens in Altona bei Hamburg verbrachte, hat die aufwendige Hochzeit ihrer Tochter in Cleve13 detailliert geschildert14: daraus erfahren wir, dass im Rahmen der Hochzeitsfeier ein von maskierten Menschen vorgeführter Totentanz stattgefunden hat: „Dann traten in Masken verkleidete Menschen ein, die sehr schöne Produktionen und verschiedene Drolerien ausgeführt hatten, die alle sehr lustig waren. Die Verkleideten haben zum Schluß einen Totentanz aufgeführt” (Hameln 2000, 79). Wir haben es hier mit einem durchaus interessanten Motiv zu tun, vor allem deshalb, weil der Totentanz, der sich im Laufe des 16. Jh. verbreitet hatte, ursprünglich ein christliches Genre gewesen ist (dieser Sachverhalt wird auch vom Autor in einer entsprechenden Anmerkung ausdrücklich betont). Der Brauch „konnte sich trotzdem auch in jüdischen Kreisen etablieren, er ist sogar zum Bestandteil verschiedenster Friedensfeste geworden” (Hameln 2000, 79). Diese Angabe liefert auch einen sehr wichtigen Beitrag für das Verständnis der jüdisch-christlichen kulturellen Wechselwirkungen. Die Entstehung des Totentanzes als Brauch kann man mit den Pestepidemien in Verbindung bringen – diese „Genre” hat sich als eine Art Gegenreaktion zum überall wütenden Tod ausgebildet, mit dem Ziel, zu veranschaulichen, dass der Tod keine Unterschiede zwischen den Armen und den Reichen kennt. Es sind zahlreiche mittelalterliche Freskodarstellungen des Totentanzes bekannt15, so etwa an der Außenwand des Ossariums im österreichischen Metnitz. In dieser Gemeinde ist vor einigen Jahrzehnten sogar ein eigenes Totentanzmuseum entstanden, außerdem wird hier einmal jährlich – als eine Form von Traditionsbewahrung – ein Totentanzspiel vorgeführt (L. Juhász 2006; L. Juhász 2007).
Der Brauch des Tanzes im Friedhof bzw. die tänzerischen Akte, die sich um das Begräbnis ranken, haben eine reiche Literatur in der ethnographischen Forschung hervorgerufen. Die wichtigste ungarische Zusammenfassung dieses Problemkreises stammt von Péter Morvay, der seine Forschungen in einem breiteren, gesamteuropäischen Kontext ausgeführt hat (Morvay 1950, 73–82). Über eine Hochzeit, die mit einem Tanz im Friedhof verbunden wäre, findet man in seinem Werk keine Erwähnung.
Die Praxis der Verknüpfung der Heirat mit dem Friedhof ist bis heute ein bekanntes Phänomen, dies wird auch durch die Fülle der Berichte und Schilderungen in den gedruckten und elektronischen Medien belegt, die verschiedene Trauungsakte in Friedhöfen oder Leichenhallen thematisieren. In diesen zeitgenössischen Fällen ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Aufführungsort mit dem Wunsch zusammenhänge, das junge Paar vor einer Krankheit bzw. vor dem Unglück zu beschützen, ganz minimal, in den vorhandenen Quellen findet man auch keine Hinweise darauf. Im Folgenden sollen zwei herausgegriffene Fallbei­spiele erwähnt werden, die die Gründe und Motivationen der heutigen Friedhof­strauungen näher bringen können.
In Übersee, im US-amerikanischen Bundesstaat Idaho ließ sich ein altes Paar (66 und 72 Jahre alt) in der Leichenhalle des Friedhofes trauen. Die ungewöhnliche Ortswahl haben sie mit dem Umstand begründet, dass sie einander in diesem Friedhof während eines Begräbnisses kennengelernt hatten. Beide hatten ihren vorherigen Ehepartner im Jahre 2007 verloren.16
Auf der Webseite eines populären ungarischen Frauenmagazins wird berichtet, dass „westlich von uns immer mehr Leichenhallen sich als alternative Hochzeitsorte durchsetzen – umso überraschender ist es, dass viele Paare sich tatsächlich an diesem Ort der letzten Andacht trauen lassen.” Aus dieser Nachricht kann man viel über den Hintergrund mancher solcher Hochzeiten zusätzlich erfahren: „…Eine Braut wollte zum Beispiel am Tag ihrer Hochzeit möglichst nah zu ihrer verstorbenen Oma stehen, deren Grab sich neben der Leichenhalle befand. Ein weiteres Paar hat sich darauf berufen, dass in einer gewöhnlichen Kirche ja ebenso Hochzeiten und auch Begräbniszeremonien stattfinden: eine Trauung in der Leichenhalle wäre daher keineswegs etwas Ungewöhnliches. Auch das Geld ist ein wichtiger Faktor, die Leichenhallen kann man nämlich günstiger mieten als einen vergleichbaren Hotelraum oder einen anderen Veranstaltungsort. Es ist ein beachtenswerter Aspekt, dass im Gegensatz zu einer Hochzeit, die gegebenenfalls auch jahrelang geplant wird, ein normales Begräbnis im Laufe weniger Tage stattfinden muß. Das Personal einer Leichenhalle ist daher an die zügige Abwicklung der Termine gewöhnt, so kann man sich an sie praktisch immer wenden. Die meisten Bauten dieser Art enthalten ohnehin keine direkten bildlich-architektonischen Hinweise auf ihre Funktion, außerdem kann man an der Fülle der Hochzeits­dekoration meistens sowieso nur von ihren Namen her darauf folgern, welche Rolle sie üblicherweise erfüllen. Obwohl es viele gute Gründe dafür gibt, warum die Leichenhalle ein idealer Trauungsort sein kann, wirkt bei uns alleine schon der Gedanke, das Ja-Wort in der Leichenhalle zu sagen, auf die meisten Menschen befremdlich – so bleibt es unsicher, ob sich dieser Trend jeweils bei uns etablieren kann, oder bloß als eine fremd wirkende Extravaganz wahrgenommen wird.”17 Dies ist übrigens auch für die Forschung eine recht interessante Frage.
In der Fachliteratur kann man auf zahlreiche Beiträge stoßen, die sich auf die zwei Stationen des menschlichen Lebens, nämlich auf die zwei Schwellenrituale, auf die Hochzeit und auf das Begräbnis bzw. auf deren Verbindung mit dem Friedhof beziehen. Als bekanntestes Beispiel könnte man den folgenden, mancherorts bis heute praktizierten Brauch erwähnen: die symbolische Inszenierung der Hochzeit beim Begräbnis ledig verstorbener Jugendlicher. Die Altersgenossen der verstorbenen Jugendlichen erscheinen im Hochzeitsgewand, die Mädchen werden als Kränzeljungfer, die Jungen als Brautführer verkleidet, und der Sarg wird gemeinsam von diesen „Brautpaaren” in den Friedhof begleitet. Je nachdem, ob der Verstorbene ein Junge oder eine Dame gewesen ist, wird eine(r) der anwesenden Altersgenossen als Braut oder als Bräutigam angezogen. Das verstorbene Mädchen wird in einem Brautgewand, der Mann im Bräutigamskleid beerdigt. Zweimal bin auch ich selbst Teilnehmer einer solchen Trauerfeier gewesen: zuerst 1977, in einer Bergbausiedlung der Region Gemer, in Rudna, auf dem Begräbnis eines 25-jährigen jungen Mannes (L. Juhász 2002, 112–114) sowie knapp zwei Jahrzehnte später, in Kőrös (Kružná), einem Nachbarort von Rudna, ebenfalls auf der Beerdigung eines Junggesellen.
Die Verbindungsmomente zwischen Hochzeit und Begräbnis könnte man mit zahlreichen weiteren Quellen und Beispielen aus der Fachliteratur veranschaulichen, dies würde jedoch in unserem Rahmen allzu weit führen, daher möchte ich auf deren Schilderung verzichten.

 

Zum Schluss möchte ich noch einen Glauben erwähnen, der sich mit der Bestattungskultur verbinden lässt: demzufolge wurde der Verstorbene nicht parallel zu den anderen Grabhügeln, sondern quer zu ihnen beigesetzt. Mit der gebrochenen Ordnung wollte man der Seuche ein Ende setzen. Im Laufe meiner Forschungen bin ich auch diesem Brauch begegnet, und zwar in Rudna: in dieser, von der bürgerlichen Kultur früh umgewandelten Bergbausiedlung konnten sich einige Informanten 2000 und 2001 an dieses Muster der Bestattung noch klar erinnern (L. Juhász 2002, 78) – desweiteren könnte man die aktuellen Forschungsergebnisse einbeziehend offensichtlich auch weitere Details und Aspekte präzisieren (vgl. Liszka 1992, 121).
Die Hochzeit im jüdischen Friedhof von Ungwar, sowie die weiteren oben geschilderten Rituale stellen einen aufschlussreichen Beitrag zum besseren Verständnis der Sepulkralkultur dar. Mit ihrer Hilfe kann man deutlich erkennen, dass die bewusste Verbindung der voneinander sehr entfernten Wendepunkten des menschlichen Lebens, aber auch verschiedener, sich auf Krankheiten und das Tod beziehender Riten in der Tat keine Seltenheit sind. Diese Muster leben in zahlreichen Variationen in der Sittenkultur und in der Glaubenspraxis fort, und zwar sowohl in christlichen Gemeinden als auch im Kreise des Judentums.
Mein Aufsatz ist nicht mit dem Ziel entstanden, eine vollständige Zusammenfassung aller ungewöhnlichen, teils ziemlich bizarren Verbindungsmomente der Hochzeit und des Todes bzw. des Friedhofes zu unternehmen. Genauso wenig wollte ich eine kohärente Schilderung aller Brauchvarianten liefern. Um eine solche Arbeit zu verfassen, wäre eine viel umfassendere und gründlichere Forschungsarbeit vonnöten. Mein Anliegen war es, einige in der Forschung bis heute unbekannte jüdische Folklore-Phänomene zu präsentieren, sowie die mehr oder minder bekannten Parallelen, verwandte (oder als verwandt erscheinende) Bezüge dieses Brauchs zu thematisieren.
Anhang

Über Hexen, die es ja nicht gibt, soll desweiteren kein Wort fallen
Diese aufgeklärte rechtliche Verordnung stammt – wie wir es wissen – noch vom König Koloman dem Buchkundigen, aus dem XI. Jahrhundert. Heute rieselt der Sand in der Uhr des XX. Jahrhunderts, wir haben uns also jeglicher aberglauberischer Abrakadabra entledigt und solchen Fälle können wir höchstens nur noch belächeln… Oder? Dies bezieht sich freilich nicht auf das überzeugte Glaubensleben und dessen Lehren! Die Ungwarer orth. isr. Glaubens­gemeinde hingegen (und wir hoffen, nur ein Teil davon) möchte die in Ungwar wütende spanische Seuche auf einer recht interessanten Art und Weise aufhalten. Wie auch unser Kollege berichtete, hatte ein junges verlobtes Paar seine Hochzeit im Friedhof gehalten, um die „spanische Seuche” aufzuhalten. Für ihre Tat haben sie von der Glaubens­gemeinde sowie dem Verein Chevra Kadisa 6000 Kronen Mitgift und weitere Geschenke erhalten. Für das junge Paar ist es auf jeden Fall gut ausgegangen. Ob diesen Akt aber die Bazillen der spanischen Epidemie ebenfalls respektieren werden, bleibt für uns stark zweifelhaft.

***

Die ungewöhnlich situierte Hochzeit fand am 20. des lauf. Monats – am Sonntag – im besonders lieblichen, von Bäumen übersäten jüdischen Friedhof statt. Bereits um 2 Uhr wurden die Straßen aber auch der zum Friedhof führende Weg von der großen Menge der Kutschen und Passanten gefüllt. Schon lange hat kein Ereignis ein nur vergleichbares Interesse auf sich gezogen, wie diese „Friedhofstrauung.” Die Menschen fühlten sich eher von der Besonderheit des Ereignisses, von der Sensation angezogen. Denn nach einer großen Berührtheit oder Frömmigkeit hätte man selbst mit einem Mikroskop vergeblich gesucht. Die wunderschöne Herbstsonne hat die Menge, die etwa 1000 Menschen gezählt haben durfte, mit Heiterkeit und Frohsinn erfüllt.
Eine solche Hochzeit gab es in Ungwar zuerst 1878, während der großen Choleraepidemie, das damals vermählte Ehepaar lebt bis heute in großer Zufriedenheit. Nur diese neue Trauung hat für einen kleinen Wirbel gesorgt. Das jetzt erwähnte Paar hat nämlich anno dazumal nur 200 Forints bekommen. Das alte Paar hat sich daher betrogen gefühlt – der Ehemann hat auch den Kirchenvorstand Güntzler aufgesucht, um die Differenz von ihm zu fordern… Güntzler hatte einen guten Sinn für Humor gehabt und hat nur das Folgende erwidert:
– Gut, mein lieber Freund, Sie haben Recht. Gehen sie nur zu jenem Rabbi, der Sie damals vermählt hatte, und holen sie mir einen schriftlichen Beleg von ihm. Der Rabbi ist natürlich schon längst zu Staube geworden, aus der „Differenz” ist also schließlich nichts geworden. Hier soll es erwähnt werden, dass solche Friedhofszeremonien in den heiligen Büchern nirgendwo erwähnt werden.
– Es kann ja nicht schaden – erklärt mir jemand aus der Glaubensgemeinschaft, – höchstens wird´s nichts nützen.
– Außerdem ist es auch stilvoll – fügt ein offenbar weniger zufriedener Ehemann hinzu, – denn wenn der Mann schon geheiratet hat, steht er mit einem Fuß eh im Grabe…
Die Diskussion läuft in Allgemeinen in dieser Richtung. Woanders sagt ein tatkräftiger junger Mann wiederholt, dass er für 6000 Kronen bereit wäre, sogar unter einer Brücke zu heiraten, nur die Frau sollte gut sein…
So wird auf das junge Paar gewartet, das von vornherein verspätet ist. Während dessen nehmen auch die Photographen in der Nähe des Baldachins Platz, es fehlen nur noch die Kino-Operateure.
In den Schaufenstern kann man einige sehr wohl gelungene Aufnahmen des Fotografen Péter Basa sehen.

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Nach drei Uhr kommt schließlich das verlobte Paar an, der Handelsassistent Sámuel Weisz und seine Braut Regina Grünberger, die Helden des Tages. Es gibt einen riesigen Menschenandrang, in dem niemand Ordnung schaffen kann. Im Eingangsbereich des Friedhofs ist der Baldachin aus blauem Samt aufgestellt, der feierliche Akt soll darunter stattfinden. Vorher richtet aber noch der Vizerabbiner Jonatán Steif eine zierliche Rede in deutscher Sprache, die häufig stark in einen Jargon übergeht, an das Publikum. Er redet vor allem über die Mildtätigkeit und Freigiebigkeit, die spanische Grippe wird erst zum Schluss erwähnt.
Jeder wollte das neue Paar sehen und daher ist es nur wenigen gelungen, sich in die Nähe des Baldachins heranzukämpfen. Der Kinderchor des Kantors beteiligt sich mit sehr schönen Gesängen. Danach kommt ein noch stärkeres Gedränge, Gequietsche und Geschrei – die Hochzeit ist zu Ende. Am Ausgang wurde Zwetschgenwasser ausgeschenkt, soweit ich gesehen habe, allen aus einem Glas…

***

Die Menschenscharen ziehen bei glänzendem Wetter nach Hause. Und der Friedhof wirkt tatsächlich malerisch schön, einige Teile des Geländes ähneln den türkischen Friedhofsgärten im Osten. Ich sage einem Vorstandsmitglied:
– Mein Herr, hier mag sogar das Ruhen eine Wonne sein!
– Lassen Sie es, zu Hause, im Bett ist es doch noch besser…
Die hin- und herflitzenden Kutschen machen den Verkehr schwer. Nur so nebenbei stelle ich mir die Frage, ob man die 6000 Kronen und die weiteren Ausgaben vielleicht nicht lieber auf Seife und Lysoform hätte ausgeben müssen?
Dann hat mich noch etwas gestört. Der Vizerabbiner hat sehr ergreifend gebetet, damit Israels Volk von der spanischen Grippe verschont bleibt. Nun frage ich mich, wieso soll ich oder jemand anderer die Krankheit kriegen, in diesen Zeiten als man jeden Ungarn so braucht…?
(p. a.)
(Ung, 27. Oktober 1918, S. 1–2.)

***

Aus dem Kreise der Öffentlichkeit
Hochzeit – gegen die spanische Grippe
Trauung im jüdischen Friedhof

In der letzten Ausgabe der „Ung” ist unter diesem Titel ein satyrisch anmutender Artikel erschienen, der auch von Irrtümern nicht frei ist.

Der Herr Verfasser zitiert zunächst König Kolomans Stellungsnahme zur Hexerei, danach zieht er die Schlussfolgerung, dass die Ungwarer orth. isr. Gemeinde in der aufgeklärten Atmosphäre des XX. Jahrhunderts immer noch dem Irrlicht des Aberglaubens huldigt. Der ganze Akt wird also schlicht als abergläubisch bezeichnet. Ich bin meines Erachtens zu laien­haft, um mit dem Herrn Verfasser über diese Sache polemisieren zu können. Es sollen hier jedoch die Worte des Miskolcer Oberrabbiners, Sámuel Austerlitz aufgeführt werden, der in dieser Frage von uns beiden viel kompetenter ist und über die Zeremonie ein viel authentischeres Bild liefern kann. Sein Manifest ist in der dieswöchigen Ausgabe der Egyenlőség erschienen und lautet folgend:
„Es ist ein uralter jüdischer Brauch, während einer Seuche, im Friedhof, weit von den Gräbern, auf einer freien Stelle, eine Trauung zu halten. Es ist kein Aberglaube, denn so etwas kommt in den Riten und dem Glauben der jüdischen Religion gar nicht vor. Der gläubige Jude manifestiert damit sein grenzenloses Vertrauen in Gott und bezeugt seine optimistische Gesinnung, wenn er eine Hochzeit im Friedhof veranstaltet. Nun, trotz der Seuche ist unser Glaube an Gott nicht ins Wanken geraten, wir sind über Gottes Güte, Gnade und Vorsehung überzeugt, und glauben fest an ihn, der die Ausrottung der Menschheit nicht zulassen kann. Dieser Brauch hat aber noch einen weiteren Zweck. Es ist nämlich bekannt, dass die Angst und die Mutlosigkeit die Gesundheit des Menschen angreifen und untergraben und dass diese Kräfte den Zustand eines Kranken erheblich verschlechtern können. Mit der Hochzeit bringt der gläubige Jude zum Ausdruck, dass der Mensch nicht verzagen darf, nun seht ihr, wir feiern selbst in der Zeit der größten Seuchen eine Hochzeit, hier im Friedhof, in der Nähe der Verstorbenen, wir haben keine Angst, Leute, ihr sollt euch auch nicht fürchten, Gott ist weiterhin mit uns. Die Hochzeit wird mit Wohltätigkeit verknüpft, es werden Spendengaben für die Armen gesammelt, es wird Mildtätigkeit und Gnade ausgeübt, damit auch unser Gott gnädig zu uns bleibt.”
Die Aufklärung des Miskolcer Oberrabbiners kann also jeden Zweifelnden beruhigen. Der Teil des Artikels, der sich auf den vermeintlichen Aberglauben bezieht, ist damit erledigt. Was mich aber ausdrücklich zur Stellungnahme und Wortmeldung bewegt hat, war jene Passage des Berichtes, die unsere Glaubensgemeinde betrifft. Der Herr Verfasser sieht nämlich die Gemeinde hinter der Hochzeitsveranstaltung. Diesbezüglich sowie hinsichtlich weiterer Details möchte ich – als Vorstandsmitglied der Gemeinde – die folgenden Punkte festhalten: Die Idee der Hochzeit, obwohl sie zweifellos einem edlen Zweck folgte, ist keineswegs in der Vertretung der Glaubensgemeinde entstanden: sie entsprang der privaten Initiative einiger frommer und barmherziger Frauen. Die Gemeinde hat die Trauung dann auch finanziell unterstützt, alleine schon deswegen, weil es sich um ein armes Paar handelte. Damit, dass jeder aus dem gleichen Glas getrunken hat, wollte man gewiß ein Zeichen setzten, um veranschaulichen zu können, dass man die Bazillen der Seuche nicht mehr befürchten muß. Dadurch, dass die Summe von 6000 Kronen nicht aus Seife und Lysoform gespendet wurde, hat man das Gleiche symbolisch betont, weil man keine Desinfektionsmittel mehr benötigt…
Was die teils jargonhafte Redeweise des Vizerabbiners betrifft, die ist aus Rücksicht auf die längst Verstorbenen vorgekommen, die die heutige moderne, kultivierte deutsche Sprache bekanntlich nicht gesprochen hatten. Der Verfasser kritisiert in seinem Bericht das ab­schließende Gebet des Vizerabbiners. Seiner Meinung nach hat der Vizerabbiner nur für Israels Volk bzw. für dessen Befreiung von der Epidemie gebetet. Das ist, verzeihen Sie mir, ein Irrtum.
Vizerabbiner Steif hat in seiner Rede eine Erklärung für diesen Akt geliefert, er hatte uns dargelegt, dass unsere Stadt von der Seuche beherrscht wird, die ja täglich mehrere Opfer fordert. Daher sind wir zu unseren Verstorbenen gekommen, damit sie unsere flehenden Worte an Gott weiterleiten, damit die Seuche endlich aufhört. Dass dabei auch das Wort Israel mehrfach erwähnt wurde, ist lediglich den hebräischen Zitaten zu verdanken, da es doch ein jüdischer Brauch gewesen ist. Anderseits handelt es sich nur um eine Schablone, ebenso wie z. B. „der Gott der Ungarn”.
Ungwar, 28. Okt. 1918.
Jenő Deutsch
(Ung, 3. November 1918., S. 3.)

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Trauung im Friedhof
Es wird uns aus Miskolc berichtet: letzte Woche sind mehrere Personen beim Vorstand der Miskolcer orth. isr. Gemeinde, Dr. Géza Halmos erschienen – sie haben ihm einen Bogen für Spendensammlung übergeben und baten dazu die Erlaubnis der Glaubensgemeinde. Der Zweck der Spendensammlung ist die Hochzeit eines armen Ehepaares gewesen, die gemäß der alten jüdischen Bräuche im Friedhof zu zelebrieren war. Bevor der Vorstand die Sammlung genehmigt hat, wandte er sich an Sámuel Austerlitz, der ihn über das Wesen des Brauchs folgendermaßen aufgeklärt hat: „Es ist ein uralter jüdischer Brauch, während einer Seuche, im Friedhof, weit von den Gräbern, auf einer freien Stelle, eine Trauung zu halten. Es ist kein Aberglaube, denn so etwas kommt in den Riten und dem Glauben der jüdischen Religion gar nicht vor. Der gläubige Jude manifestiert damit sein grenzenloses Vertrauen in Gott und bezeugt seine optimistische Gesinnung, wenn er eine Hochzeit im Friedhof veranstaltet. Nun, trotz der Seuche ist unser Glaube an Gott nicht ins Wanken geraten, wir sind über Gottes Güte, Gnade und Vorsehung überzeugt, und glauben fest an ihn, der die Ausrottung der Menschheit nicht zulassen kann. Dieser Brauch hat aber noch einen weiteren Zweck. Es ist nämlich bekannt, dass die Angst und die Mutlosigkeit die Gesundheit des Menschen angreifen und untergraben und dass diese Kräfte den Zustand eines Kranken erheblich verschlechtern können. Mit der Hochzeit bringt der gläubige Jude zum Ausdruck, dass der Mensch nicht verzagen darf, nun seht ihr, wir feiern selbst in der Zeit der größten Seuchen eine Hochzeit, hier im Friedhof, in der Nähe der Verstorbenen, wir haben keine Angst, Leute, ihr sollt euch auch nicht fürchten, Gott ist weiterhin mit uns. Die Hochzeit wird mit Wohltätigkeit verknüpft, es werden Spendengaben für die Armen gesammelt, es wird Mildtätigkeit und Gnade ausgeübt, damit auch unser Gott gnädig zu uns bleibt.”

Nach dieser Aufklärung hat der Vorstand die Spendensammlung ohne Bedenken bewilligt, umso mehr, dass seiner Kenntnis nach solche Hochzeiten im Friedhof wegen der Epidemie bereits vielerorts stattgefunden haben, angeblich auch in Budapest.
(Egyenlőség, 26. Oktober 1918., S. 11.)

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Die Hochzeit auf dem jüdischen Friedhof
Vor mehr als sechshundert Jahren wütete in Europa eine Pest, von der auch Krakau nicht verschont blieb. Die Seuche dezimierte die Bewohner so, daß es keinen Tag gab, an dem sie nicht die ihre schreckliche Ernte gesammelt hätte, die in die Hunderte ging. Es starben Alte, Junge, Frauen und unschuldige Kinder. Die Straßen der Städte waren wüst und leer, denn diejenigen, die am Leben geblieben waren, saßen in ihren Häusern und hielten Fenster und Türen fest geschlossen, in der Hoffnung, daß die grausame Hand der Pest sie nicht erreichen würde. Diese Maßnahmen blieben jedoch ohne Erfolg. Der Todesengel suchte ein Haus nach dem anderen heim, und jeden Morgen konnte man hinter den geöffneten Fenstern das laute Wehklagen der Menschen hören, die ihre Angehörigen beweinten.
In den Synagogen des jüdischen Stadtteils betete man zu Gott, daß er seinen Zorn abwenden möge. Die Reichen, die sich sonst im Allgemeinen menschlichen Unglück gegenüber fühllos gezeigt hatten, gaben jetzt, aus lauter Angst, den Armen gerne Almosen. Aber weder Gebete noch irgendwelche guten Werke konnten sie Seuche aufhalten, die wie eine Furie in der Stadt tobte.
Bis sich plötzlich jemand daran erinnerte, daß man, um der Pest Einhalt zu gebieten, oft auf Kosten des jüdischen Friedhofs eine Hochzeit von Krüppeln gefeiert hatte. An diese Idee klammerten sich, gleichsam wie an den letzten Rettungshalm, auch die Krakauer Juden. Aus der Kasse der jüdischen Gemeinde wurde Geld für eine große Hochzeit bestimmt, und man begann schnell, Vorbereitungen für die Feier zu treffen. Nur ein Problem tauchte plötzlich auf. Während der Vorbereitung der Speisen und der Aufstellung der Chuppa war es niemandem in den Sinn gekommen, festzulegen, welches Paar unter diesem Hochzeitsbaldachin stehen sollte.
Man begann daher fieberhaft zu suchen. Und so führten die Männer bald darauf den buckligen und auf einem Auge blinden Feifel aus dem Armenhaus auf den Friedhof. Die Frauen hingegen brachten die hinkende Ryfka herbei, die herumstreunte, da sie kein Zuhause hatte, und für kärgliche Kost verschiedene Arbeiten verrichtete.
So standen also diese beiden an einem Freitagnachmittag unter der Chuppa. Feifel streifte Ryfka einen Blechring über den Finger, zertrat mit dem Fuß das Weinglas, und die Menge der Versammelten schrie aus voller Kehle ‚Mazel tow’. Man begann, sich in vollen Zügen zu amüsieren. Bei Tanz und Musik verblaßten die Sorgen, und die Seuche war vollkommen vergessen.
Die Hochzeitsgäste bemerkten nicht einmal, daß sich der Himmel über ihnen verfinsterte und die Sonne, die den Sternen und dem Mond Platz gemacht und so den Beginn des Sabbats verkündet hatte, schon lange untergegangen war. Das war ein großes Vergehen gegen Gottes Gebot, wofür die vergnügten Gäste auch bestraft wurden.
Unter den in einem fort tanzenden Füßen schien die Erde plötzlich gleichsam schneller und schneller zu schwinden, so daß man aufhörte zu tanzen und die Musik mitten im Takt verstummte. Alle standen wie versteinert, düsteren Grabsteinen ähnlich, und merkten, daß es die Erde war, die unter ihnen erzitterte. Jede neue Erschütterung nahm noch an Heftigkeit zu, bis sich die Erdkruste vor ihnen auftat und einen feurigen Schlund wie einen gefräßigen Rachen zeigte. Er verschlang in weniger als eine Sekunde alle Tänzer, danach schloß sich die Erde so schnell wieder, wie sie sich geteilt hatte.
Eine große Stille breitete sich über dem Friedhof und dem ganzen jüdischen Stadtteil aus. Und es war so schrecklich still, wie es in den ersten Tagen der Schöpfung gewesen sein muß, bevor noch das Licht auf der Erde aufgeleuchtet war und bevor sie sich mit Leben gefüllt hatte.
Es heißt, daß es von da an verboten war, am Freitag zu heiraten und daß auf diesem Friedhof keine Verstorbenen mehr beerdigt wurden. Das Tor, das zu ihm führte, wurde zugemauert. Und so soll es bis in unser Jahrhundert geblieben sein, bis zum Beginn des großen Krieges.

(Basiura 2004, 99–101)

Literatur

Basiura, Ewa
2004 Das legendäre Krakau. Bekannte und unbekannte Geschichten. Kraków: Storyteller Verlag.

Hameln, Glikl
2000 Emlékiratai. Fordította, a bevezetőt és a magyarázatokat írta: Jólesz László. Budapest: Athenaeum.

Juhász Ilona, L.
2002 Rudna I. Temetkezési szokások és a temetőkultúra változásai a 20. században [Rudna I. Veränderungen in den Bestattungsbräuchen und in der Friedhofskultur im 20. Jahrhundert]. Komárom–Dunaszerdahely: Fórum Társadalomtudományi Intézet–Lilium Aurum Könyvkiadó /Lokális és regionális monográfiák 2./
2006 Haláltánc-ábrázolások és haláltáncjáték. Egy középkori pantomimjáték utóélete. Vasárnap 39/43, S. 12–13.
2007 A metnitzi Haláltánc Múzeum. Ethnica 9/1, S. 28–29.
2011 Esküvő és lakodalom a temetőben. Adalékok a zsidó néphithez. Fórum Társadalomtudományi Szemle 13/4, S. 3–14.

Liszka József
1992 Fejezetek a szlovákiai Kisalföld néprajzából [Zur Ethnographie der Kleinen Tiefebene in der Slowakei]. Budapest: OKTK Magyarságkutatási Program /A Magyarságkutatás könyvtára XII./

Morvay Péter
1951 A templomkertben, temetőben és halotti toron táncolás, s a halottas-játék népszokásához. Ethnographia 62, S. 73–82.

Scheiber Sándor
1996 Folklór és tárgytörténet. Teljes kiadás [Folklore und Sachgeschichte. Vollständige Ausgabe]. Budapest: Makkabi.

Schnitzer Ármin
1904 Jüdische Kulturbilder (aus meinem Leben). Wien: L. Beck und Sohn.

Ujvári Péter (Hg.)
2000 Magyar zsidó lexikon. Budapest: Makkabi.

Sobáš a svadba na cintoríne
Príspevok k židovskej ľudovej viere
(Zhrnutie)

Autor našiel v časopise Ung z roku 1918, vychádzajúcom v Užhorode, tri články zaoberajúce sa sobášom jedného mladého židovského páru na cintoríne. Cieľom tohto rítu, odohrávajúceho sa na neobvyklom mieste, bolo zastavenie ďalšieho šírenia epidémie španielskej chrípky, ktorá si už vtedy vyžiadala mnoho smrteľných obetí. Podľa židovskej ľudovej viery totiž sobáš, ktorý sa koná na cintoríne, zastaví šírenie chorôb. Tento svadobný obrad vyvolal veľký ohlas a v záujme vysvetlenia istých nedorozumení aj samotný užhorodský rabín vysvetlil svoje stanovisko v odpovedi na ironizujúci článok.
Autor štúdie na základe informácií z tlače predstavuje spomenutý prechodný rítus a prináša niekoľko príkladov aj z iných krajov na podobné, s cintorínom viazané zvykové úkony, resp. príklady zo židovskej ľudovej viery vzťahujúce sa na styčné body sobáša a pohrebu, svadby a cintorína. V prílohe uvádza takmer v celom rozsahu aj spomenuté články s tým zámerom, aby sme si na ich základe mohli vytvoriť obraz o duchu doby, resp. aby sme presnejšie mohli vnímať rozdiely medzi židovskou ľudovou vierou a židovskými náboženskými zákonmi.
Uvedená štúdia v nemeckom jazyku je prepracovanou a podstatne rozšírenou verziou maďarsky publikovanej práce s podobným názvom (viď: Fórum Társadalomtudományi Szemle 13, 2011/4, s.4–14).

(Preklad Ida Gaálová)

Esküvő és lakodalom a temetőben.
Adalékok a zsidó néphithez
(Összefoglalás)

A szerző az Ungváron megjelenő Ung című lap 1918-ban megjelent számaiban talált három írásra, amelyek egy fiatal zsidó pár temetőben tartott esküvőjével foglalkoznak. A szokatlan helyen tartott rítus célja az akkor már nagyon sok halálos áldozatot követelő spanyolnátha-járvány továbbterjedésének megállítása volt. A zsidó népi hiedelem szerint ugyanis a temetőben tartott esküvő megállítja a betegségek terjedését. Ez a temetői esküvő nagy visszhangot váltott ki, s bizonyos félreértések tisztázása érdekében maga az ungvári rabbi is kifejtette álláspontját az ironizáló beszámolóra írt válaszcikkében.
A tanulmány szerzője a sajtóban megjelent információk alapján egyrészt bemutatja a szóban forgó átmeneti rítust, majd más vidékekről is hoz néhány példát a temetőhöz kötődő hasonló szokáscselekmények, illetve a lakodalom és a temetés, valamint a lakodalom és a temető kapcsolódási pontjaira vonatkozó zsidó néphitből. A mellékletben majdnem teljes terjedelmükben közli az újságcikkeket is, abból a megfontolásból, hogy ezek alapján képet kaphassunk a korszellemről, illetve árnyaltabban érzékeljük a zsidó néphit és a zsidó vallási törvények közti különbségeket.
A fenti, német nyelvű tanulmány egy korábbi, hasonló cím alatt magyarul megjelent dolgozat átdolgozott és tetemesen bővített változata (lásd : Fórum Társadalomtudományi Szemle 13, 2011/4, 4–14. p.)